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Mein Freund hat mich geschlagen

In letzter Zeit ist mir immer mehr aufgefallen, dass mein Freund zu Gewaltbereitschaft neigt. Beim Feiern kommt er ständig in Schlägereien und wirft in einem Streit auch schnell mit Beleidigungen um sich. Am Anfang habe ich mir nichts dabei gedacht, er hat mich auch immer auf Händen getragen. Aber letztens hat er jemanden echt krass angemacht, der mich aus Versehen angerempelt hat. Das geht mir wirklich zu weit und wir sind in einen heftigen Streit geraten. Er meint, ich solle ihm dankbar sein, dass er mich so beschützt. Ich brauche seinen „Schutz“ aber doch gar nicht und finde sein Verhalten eher peinlich. Da habe ich auch schon befürchtet, dass sich seine Aggression auch irgendwann gegen mich richten könnte. Und das ist gestern auch passiert! Ich kann es kaum glauben, aber er hat mich tatsächlich geohrfeigt.

Eigentlich finde ich, dass das gar nicht geht, aber der Gedanke, mich von ihm zu trennen, macht mich total traurig, denn ich liebe ihn wirklich. Vielleicht war es ja auch nur einmalig?

Grenzen setzen

Aus deiner Beschreibung hören wir heraus, dass dein Freund ein gewaltbereites Verhalten an den Tag legt und dies sich schon in einigen unterschiedlichen Situationen gezeigt hat. Kein Wunder, dass deine Alarmglocken läuten. Denn häufig bleibt Gewalt in einer Beziehung keine einmalige Sache, selbst wenn der Partner sich entschuldigt hat oder beteuert, es nie wieder zu tun.

Auch unter Alkoholeinfluss oder um es jemandem heimzuzahlen, der dich vermeintlich schlecht behandelt hat, ist gewaltsames Verhalten nicht entschuldbar. Vor allem aber gegen dich darf er nicht gewalttätig werden.

Häusliche Gewalt fängt nicht so an, dass jemand gleich ein blaues Auge bekommt. Oft sieht man die Anzeichen schon sehr früh. Es beginnt erst mit einer lauteren Stimme oder einer Ohrfeige. Betroffene entschuldigen dieses Verhalten dann häufig aus Liebe (‚Er/sie hat versprochen es nie wieder zu tun‘, ‚Eigentlich hat er/sie ein gutes Herz.‘). Wir verstehen, dass man den Menschen, den man liebt, schützen und ihn in einem positiven Licht sehen möchte. Leider wird diese Gewalt später in der Beziehung dann zumeist heftiger. Manchmal auch verstärkt durch Stresssituationen wie nach der Geburt eines Kindes, oder wenn man finanziell abhängig ist oder sozial isoliert ist. Zu diesem Thema suche dir bitte professionellen Rat bei Beratungsstellen, die sich direkt mit häuslicher Gewalt auskennen.

Gewalt in der Beziehung ist für uns als Paartherapeuten in den meisten Fällen beispielsweise sogar ein Grund, keine Emotionsfokussierte Beratung einzugehen. Wir schicken dann das Paar weiter an Beratungsstellen, die sich direkt um das Thema ‚Gewalt in Beziehung‘ kümmern. Bitte informiere dich gründlich, denn es ist kein leichtfertiges Thema, und es geht um deine Sicherheit und deine Gesundheit! Zum Beispiel die Website von SOS Kinderdörfer informiert zu diesem Thema (www.rataufdraht.at) oder vom Bundesamt für Familie und Zwischengesellschaftliche Aufgaben berät auch telefonisch (www.hilfetelefon.de).

Wenn du eurer Beziehung trotzdem eine Chance geben möchtest, ist es wichtig, dass du das Gespräch mit ihm suchst und ihm klar deine Grenzen zeigst (siehe auch: Grenzen setzen). Sage deinem Freund, was es mit dir macht, wenn du gewaltvolles Verhalten von ihm erlebst (an dir oder an anderen). Dass es dir Angst macht und du dich dadurch unsicher und nicht aufgehoben in eurer Beziehung fühlst.

Sage ihm, dass du eine Verhaltensänderung von ihm brauchst und dass es dir ernst ist. Vermutlich wird eine Verhaltensänderung für ihn nicht so einfach sein, da der Umgang mit Gefühlen oft über viele Jahre und schon in der Kindheit gelernt wurde. Meist geben wir das weiter, was wir selbst erlebt haben. Solange wir unser Verhalten nicht reflektieren, Bewusstheit hereinbringen, und damit Veränderungen von innen kommen können. Wer selber Gewalt erlebt hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit Gewalt weitergeben. Daher solltest du dich nicht damit zufrieden geben, wenn er sagt: „Ok, ich werde es ändern“.

Damit es eine tiefgreifende und nachhaltige Veränderung werden kann, braucht es mehr als guten Willen. Eine Möglichkeit ist, dass er eine Psychotherapie macht. Meinst du, er wäre dazu zu motivieren? Vielleicht hat er Vorbehalte gegenüber einer Psychotherapie. Aber wir haben schon oft die Erfahrung gemacht, dass Personen am Ende sehr dankbar dafür waren. Auch wenn sie es sich vorher nicht vorstellen konnten. Und wenn du ihm wichtig bist, dann ist er hoffentlich gewillt, über seinen Schatten zu springen – was meist in der Tiefe Ängste sind.

Beginne das Gespräch, indem du Verständnis für ihn zeigst – Gewalt ist meist eine Reaktion auf schwierige Gefühle wie z.B. Hilflosigkeit, Erniedrigung oder Ohnmacht, siehe auch: sekundäre und primäre Gefühle. Möglicherweise fühlt er sich hilflos und überflutet, wenn ihr im Streit seid, oder wenn du – seine Freundin, die er liebt und schützen möchte, von jemandem schlecht behandelt wird – wie das Anrempeln, von dem du geschrieben hast. Dann reagiert er über – mit einem Verhalten, durch das er sich vielleicht im ersten Moment stärker fühlt – aber eigentlich macht es ihn schwächer. Es ist wichtig, dass er diese Zusammenhänge in seinem Verhalten erkennt.

Für den Fall, dass er keine Bereitschaft zeigt, sein Verhalten nachhaltig zu verändern und die dafür nötigen Schritte zu gehen, ist es wichtig, dass du bereit bist, dich von ihm zu lösen. Stelle dir die Frage: Was bindet dich im Moment an ihn? Was würdest du verlieren? Befürchtest du, ohne ihn alleine zu sein? Oder hast du vielleicht schon viel in die Beziehung investiert? Trennungen sind schmerzhaft, aber verkraftbar im Vergleich zu dem Leid, das du vermutlich in einer gewaltvollen Beziehung auf Dauer erfahren wirst. Der Preis, den du zahlen müsstest, ist wahrscheinlich höher als das, was du schon in die Beziehung investiert hast. Zusätzlich ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du jemand anderes finden wirst, der dich und deine Unversehrtheit tatsächlich schätzt und schützt.

Wir freuen uns, dass du hier Hilfe gesucht hast und wünschen dir alles Gute!

Dein Lovie-Team

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